Roland Berger (*1937), eine Legende der deutschen Unternehmensberatung, analysiert im Interview mit Peter Tiede von Bild.de die aktuelle Situation Deutschlands und gibt seine Einschätzung zu den Ursachen der Krise sowie mögliche Lösungsansätze.
Ich hatte die Ehre, Roland Berger mehrfach im Rahmen meiner Arbeit für die Kanzlerinitiative "Partner für Innovation" bei mehreren Innovationsgipfeln live erleben zu dürfen. Er scheint noch immer sehr aktiv und gut informiert zu sein.
Hauptthesen und Kernaussagen
Kritik an der aktuellen Politik:
Olaf Scholz: Berger kritisiert Scholz' Führungsstil, seine mangelnde Kommunikationsfähigkeit und Beziehungsfähigkeit. Er wirft Scholz vor, die Wirtschaft durch zu viel Planwirtschaft und Dirigismus in eine Rezession geführt und den Sozialstaat aufgebläht zu haben. Auch seine zögerliche Haltung in Bezug auf die Ukraine-Hilfe wird bemängelt.
Angela Merkel: Berger sieht die Ära Merkel als schädlich für die Stimmung im Land an. Merkel habe es versäumt, Werte und Visionen zu vermitteln und die Menschen durch den Ausbau des Sozialstaates verwöhnt. Sie habe außerdem Reformen (Agenda 2010) nur schleppend weitergeführt.
Die Ampel-Koalition: Die Regierung wird als zerstritten und unfähig zur Zusammenarbeit wahrgenommen. Es fehle der Konsens, jeder wolle seinen Willen durchsetzen.
Wirtschaftliche Probleme:
Stagnation und fehlende Innovation: Die deutsche Wirtschaft sei seit fünf Jahren kaum gewachsen, die Produktivität stagniere. Es würden keine disruptiven Innovationen hervorgebracht, die Wirtschaft basiere auf alten Technologien (Auto-, Chemieindustrie). Der Sprung ins digitale Zeitalter und die Nutzung von KI sei nicht ausreichend gelungen.
Verwöhnte Gesellschaft: Die jüngere Generation sei zu verwöhnt und stelle unrealistische Anforderungen an den Arbeitsmarkt. Es fehle die Wertschätzung für Arbeit und Leistung.
Ausufernder Staat: Die Staatsausgaben seien zu hoch, der öffentliche Sektor sei aufgebläht. Es gebe zu viele Bürokratie und zu viel Dirigismus. Der Staat greife zu stark in die Wirtschaft ein, anstatt auf Wettbewerb zu setzen. Der Staat konsumiere immer mehr, ohne produktiver zu werden.
Politische Probleme:
Systemkrise: Das politische System befinde sich in einer Krise. Es fehle an Führungspersönlichkeiten mit Visionen und Durchsetzungskraft. Die Suche nach Konsens habe zu einer Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners geführt.
Personelle Schwäche: Es gebe einen Mangel an kompetentem Personal in der Politik. Insbesondere die Besetzung von Führungspositionen in Ministerien erfolge nach parteipolitischen Kriterien und nicht nach Expertise.
Fehlende Digitalisierung: Die öffentliche Verwaltung sei nicht digitalisiert und arbeite ineffizient. Behörden könnten nicht miteinander kommunizieren.
Gründe für die Krise
Fehlende Führung und Entscheidungsfreudigkeit: Die Politik sei zögerlich und unfähig, notwendige Reformen umzusetzen.
Mangelnde Innovationskraft: Die deutsche Wirtschaft habe den Anschluss an die digitale Entwicklung verloren.
Übermäßige Regulierung und Bürokratie: Der Staat greife zu stark in die Wirtschaft ein und bremse die unternehmerische Initiative.
Verwöhnte Gesellschaft: Es fehle an Leistungsbereitschaft und Wertschätzung für Arbeit.
Schlechte personelle Besetzung der Ministerien: Zu wenig Expertise, zu viel Parteibuchdenken.
Überbordender Staat: zu viele Stellen in der öffentlichen Verwaltung, zu hohe Staatsausgaben.
Was sollte getan werden?
Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft: Der Staat müsse sich zurückziehen und den Wettbewerb fördern.
Abbau von Bürokratie: Die öffentliche Verwaltung müsse verschlankt und digitalisiert werden.
Reduzierung von Subventionen: Die Subventionspolitik sei ineffizient und müsse abgeschafft werden.
Stärkung der Innovationskraft: Es brauche einen Mentalitätswandel und die Förderung von Unternehmertum und Innovationen.
Personalwechsel in den Ministerien: Experten mit Fachkenntnissen sollen ohne parteiliche Vorgaben besetzt werden.
Priorisierung von Investitionen: Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Sicherheit müssen im Vordergrund stehen.
Stärkung der Außenpolitik: Deutschland müsse seine Rolle in der Welt wiederfinden und seine Beziehungen zu wichtigen Partnern (USA, EU, China) verbessern.
Private Initiativen fördern: Aufgaben vom Staat an private Unternehmen delegieren
In der öffentlichen Verwaltung radikal durchgreifen: Bürokratie abbauen und Personal aus der Privatwirtschaft einstellen, die mit der nötigen Härte den Umbau der öffentlichen Verwaltung angehen.
Konkrete Empfehlungen für den nächsten Kanzler
Wirtschaftliches Wachstum: Durch Bürokratieabbau, Steuererleichterungen und Begrenzung des Sozialstaates.
Außenpolitische Handlungsfähigkeit: Einheit der EU wiederherstellen, transatlantische Partnerschaft stärken und die Beziehung zu China entideologisieren.
Schlüsselressourcen richtig einsetzen: Geld sollte in Bildung und Infrastruktur fließen
Zusätzliche Punkte
Berger betont die Notwendigkeit, dass Deutschland sich neu erfinden muss, um zukunftsfähig zu bleiben.
Er kritisiert die zögerliche Haltung der deutschen Politik in Bezug auf die Ukraine und betont die Bedeutung der Unterstützung für die Ukraine im Kampf gegen Russland.
Er sieht in Friedrich Merz einen Kanzlerkandidaten, der das Potenzial hat, notwendige Veränderungen anzustoßen, bezweifelt aber seine Fähigkeit zur Durchsetzung.
Fazit
Roland Berger zeichnet ein düsteres Bild von der aktuellen Lage Deutschlands, sieht aber auch Chancen für eine positive Entwicklung. Er fordert einen radikalen Wandel in der Politik und der Wirtschaft, um das Land wieder auf den Erfolgsweg zurückzuführen. Seine Analyse ist kritisch, aber auch konstruktiv und liefert konkrete Ansätze für eine bessere Zukunft.
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